Zu den Mitteln, mit welchen der "Gebirgsverein für das nördlichste Böhmen" seinem Zwecke, "Erweiterung der wissenschaftlichen und touristischen Kenntnis der heimatlichen Gegend und Erleichterung ihrer Bereisung", gerecht zu werden sucht, gehört auch die Erschließung und Bekanntmachung neuer und bisher wenig beachteter Naturpunkte. Als ein solcher, der Erschließung werther und bis jetzt nur wenig beachteter Punkt, erscheint mir die lange verborgen gebliebene Stelle der ehemaligen Veste Oberkarlstein im Khaa-Thale1).
Einmal schon deshalb, weil für die Erhaltung geschichtlicher Erinnerungsstätten, und wären diese noch so unscheinbar, überhaupt nie genug gethan werden kann, dann aber auch, weil speziell Burgstätten im Bereiche des nördlichsten Böhmens, d. i. innerhalb der Gerichtsbezirke Rumburg, Warnsdorf, Schluckenau und Hainspach, nur dünn gesäet sind. Es finden sich deren nur vier - u. zw. hart an der Quader- und Granitgrenze, welch' letztere sich vom Khaathale über Teichstatt, Tannendorf und Innozenzendorf bis an den nördlichen Fuß der Lausche zieht - nämlich: Tollenstein, Schönbuch, Karlstein und Oberkarlstein; hiezu könnte man allenfalls noch die Reste jenes alten Schlosses nehmen, welche sich bei den im vorigen Jahrhunderte erbauten Jagdschlosse Sternberg befinden, worüber es aber keine Nachrichten gibt.
Ich will im Folgenden dasjenige mittheilen, was mir über Oberkarlstein bekannt ist; daraus wird sich auch noch ein weiterer Beweggrund zur Erschließung dieses Punktes ergeben: nämlich der Ausblick, den man von da hat.
In einer um's Jahr 1820 erschienenen Beschreibung des Leitmeritzer Kreises heißt es beim Dorfe Khaa: "Eine halbe Stunde unter diesem Dorfe befindet sich auf hohem Felsen über dem Kirnischbach das wüste Schloß Karlstein, von Waldungen umgeben. (Nach ganz neueren, im Auslande erschienenen Karten, ist hier ein doppeltes Dorf, Nieder- und Oberkarlstein, und in letzterem ein bewohnbares Schloß ganz falsch angegeben".
Aus letzterer, in der Klammer beigesetzten Bemerkung geht hervor, daß auch dem Verfasser des angezogenen Werkes die volle topographische Klarheit fehlte, da er sonst gewiß das benachbarte wüste Schloß "Karlstein bei Daubitz" erwähnt hätte.2)
Besser unterrichtet war schon der bekannte vaterländische Archäolog Karl Brantel, welcher (im Jahre 1846) in Alexander Heber's vielbändigem Werke "Böhmens Burgen, Vesten und Bergschlösser" (IV. Bd., S. 193) eine eingehende Beschreibung ,von Oberkarlstein lieferte, wie er denn überhaupt ein fleißiger Mitarbeiter Heber's war. Wir lassen diese Beschreibung hier wörtlich folgen, da diese ohnedies nur wenig bekannte Burgstätte, an die auch mancherlei Sagen anknüpfen, meines Wissens sonst nirgends so ausführlich beschrieben worden ist.
"Auf einem Felsblocke von mehr als sechzig Klaftern Höhe stand, eine Viertelstunde von der Forellen- oder Tingsmühle3) entfernt, am rechten Ufer des Kirnisbaches, einst die Veste Karlstein, zum Unterschiede vom Karlstein bei Kreibitz von den Landestopographen Ober-Karlstein genannt.
Das Landvolk selbst belegt aber jetzt die Trümmerstätte mit dem Namen "das wüste Schloß am neuen Wege". Der hohe, senkrechte Sandsteinfels, auf welchem sich die spärlichen Burgüberreste vorfinden, besteht aus vielen Absätzen und Klüften, deren zwei ihn an der Südost- und Nordwestseite von dem benachbarten Felsenzuge völlig trennen und zum isolirten Riesenblocke bilden.
Ein steiler Pfad, früher der einzige Zugang, geht aus dem Thale in der südöstlichen Schlucht aufwärts; er war ehemals bis zur Oberfläche des Felsenrückens fortgesetzt, wo die rauhen bepanzerten Bewohner über zwei Wallgräben zur Burg selbst gelangten, welche an dem nordöstlichen Endpunkte des Felsens stand. Nun muß der Wanderer beinahe in der Hälfte des steilen Pfades rechts ablenken und seine Schritte nach dem zweiten Wallgraben wenden, der, bei einer Breite von zwölf Klaftern, zehn Klafter tief und in puren Felsen gehauen ist. Eine in der Mitte desselben befindliche, zwölf Schuh lange Felsbank hatte den Zweck, den hölzernen Stützpfeilern der Schloßbrücke zur Grundlage zu dienen, von welcher aber längst alle Spuren verschwunden sind. Aus diesem zweiten Wallgraben gingen in der Vorzeit Stufen zu dem Einlaßpförtchen des Schlosses empor, das gewöhnlich neben dem durch die aufgezogene Zugbrücke stets unzugänglichen Eingangsthore angebracht war. Diese Treppe war, nach den vorhandenen Ueberresten von vier Stufen zu urtheilen, in die südöstliche senkrechte Felswand des Schloßgrabens eingehauen. Sie bestand aus zwei Armen und die scharfe Wendung, wo der Ruheplatz ist, befand sich in der halben Tiefe des Wallgrabens. Von dem Einlaßpförtchen ist noch der linksseitige Falz sammt der vierkantigen tiefen Oeffnung vorhanden, in welcher sich der Schubriegel zum Versperren des Einganges bewegte. Die noch vorhandenen vier Stufen sind drei Schuh breit und ihr tiefes Auftreten4) zeigt, daß dieselben in der Blüthezeit der Burg lange und vielfach gebraucht wurden. Die übrigen Stufen sind verschüttet und man klettert nun über Schutt und Steingerölle zum obersten Plateau des Felsens empor, wo man aber jetzt nicht die geringste Spur von Mauerwerk gewahrt, denn der ganze leere Platz ist mit Haidekraut, Fichten und Tannen bewachsen, so daß sich einem Jeden von selbst gleich die Bemerkung aufdrängt, hier müssen lediglich nur Holzbauten gestanden haben, die um so mehr durch die Höhe und Steilheit des Felsens gesichert waren, da an der erkletterbaren Nordseite ein tiefer Wallgraben ausgehauen wurde, und jeden möglichen Zugang von dieser Seite gänzlich vereitelte.
Von der früher hier bestandenen Holzburg zeigen sich an der äußeren nordöstlichen Kante des Felsens zwei tiefe; stark verwitterte Auflagen für massive Tramen, die hier über eine in Stein gehauene Vertiefung, wahrscheinlich ein früheres, nun vertragenes Behältnis, als Stützpunkt eines Bretter- oder Doppelbodens gelegt waren.
Aus dem vorbenannten riesigen Graben führt auch eine Felsspalte auf den geräumigen Platz des ehemaligen Vorwerkes, das sich zwischen dem ersten und zweiten Wallgraben befand, dreißig Klafter lang und acht Klafter breit war, und allem Anscheine nach den Stallungen, Vorrathskammern und Wohnungen der Waffenknechte zum Standpunkte diente. Am ersten Burggraben gewahrt man einen Erdwall, welcher eigentlich nur Ueberrest der zerstörten Ringmauer ist, die hier den schwächsten Punkt der Veste schützte, und auch an der Südostseite längs der Felskante sehr weit hinlief. Daß sie gewaltsam zerstört wurde, ersieht man aus den an der Mittagsseite des Felsens allenthalben herumliegenden behauenen Quadern und Bruchsteinen, unter welchen sich auch rothgebranntes Gestein zeigt und zur Genüge beweiset, daß die Burgveste durch Feuer zu Grunde ging. Dieses mochte auf solcher Höhe arg gewüthet haben, da zur schnellen Herbeischaffung des Wassers nichts vorhanden war, als eine drei Klafter ins Gevierte habende Cisterne, deren Spuren in der Mitte des Vorwerkes noch bemerkbar sind.5) -
Die Aussicht von dieser Stätte ist nicht sehr bedeutend. Nordwestlich breitet sich das tiefe felsige Kirnsthal aus, durch dessen Sohle der Wildbach braust, und durch eine Gebirgsspalte den Blick nach dem nahen Sachsen zu werfen erlaubt, wo die groteske Felsenwelt sich im wunderbaren Chaos übereinander thürmt. Eine freie Durchsicht gestattet morgenwärts die weite Baumlücke auf das hochgelegene, von Feldern umgebene Dorf Steinhübel, und dieses ist der einzige Genuß, so das Auge hier empfängt, da dichte Forste an allen übrigen Seiten die Ruine eng umschließen."
Außer bei Heber fand ich die Burgstätte Oberkarlstein nur noch in Konstantin von Nowicki's, 1871 erschienenen Werkchen: "Die böhmische Nordbahn", ferner in einem mit E.K. gezeichneten Feuilleton "Aus dem Khaathale", in der "Rumburger Zeitung" vom Jahre 1883, und endlich in der soeben erschienenen "Heimatskunde des polit. Bezirkes Rumburg" von Anton Hockauf erwähnt. Obwohl darin nicht viel Neues sich befindet, will ich doch der Vollständigkeit halber diese Stellen hier anführen.
Nowicki (Seite 195) sagt: "Am rechten Ufer des Kirnschtbaches, zwischen Khaa und Hinterdaubitz, ist die Ruine Oberkarlstein, die auch "das wüste Schloß am neuen Wege" genannt wird. Ein steiler Pfad führt in der südöstlichen Schlucht hinauf. Die Burgruinen sind spärlich; nur noch zwei in Felsen gehauene Wallgräben, wovon der eine bis 12 Klafter breit, sind vorfindlich. Die Burggebäude dürften auf dem obersten Plateau gewesen sein, wahrscheinlich von Holz. Fernsicht ist keine, nur ein Blick in das tiefe Kirnschtthal."
Der Feuilletonist der "Rumburger Zeitung," der sich etwas unterrichteter zeigt, schreibt folgendermaßen: "Geht man am Käsewasser6) hinab, so gelangt man bald auf den Neuweg, der erst im Jahre 1784 in Bau genommen wurde und früher ein durch Dornen und Gesträuch sich windender Fischerweg gewesen ist. Von hier hat man auch nicht mehr weit zum Kirnischbache, der sich durch die grünen Wiesen dahinschlängelt, dem Felsenthore, dem romantischesten Theile des Kirnischthales7), entgegen. Etwa hundert Schritte unterhalb der Mündung des Käsewassers führt links ein Weg zum verfallenen Schlosse des Raubritters8) von Karlsstein. Kein geeigneterer Platz konnte aber auch im ganzen Thale ausfindig gemacht werden, ein Raubnest anzulegen, als dieser Felsen. Der Haupteingang war von der Südseite. Von zwei tiefen Gräben abgeschnitten, wurde die Verbindung mittels Zugbrücken hergestellt. Den heimlichen Ausgang bildete ein unterirdischer Gang, welcher unter dem jetzigen Neuweg, beim sogenannten Weinkeller, an den Tag kam, von welcher Höhle noch heutigen Tages die Spuren zu sehen sind. Die schönste Aussicht von dem wüsten Schlosse hat man am Nordwest-Abhang, wo der Blick über eine Gruppe kahler Felsen nach dem dunkelgrünen Walde schweifen kann, der wiederum von eingeklüfteten, romantischen Felsenmauern eingeschlossen wird, während drinnen im Thal das Wasser rauscht und braust."
In Hockauf's Heimatskunde endlich ist auf Seite 155 Folgendes zu lesen: "Etwa 100 Schritte unterhalb der Mündung des Käsewassers führt links ein Weg zu dem Platze, wo auf hochgelegenen Felsen einst die Burg Oberkarlstein thronte. Nur wenige Spuren sind noch von ihr vorhanden; doch genießt man von dem Nordwest-Abhange eine prächtige Aussicht; der Blick schweift über eine Gruppe kahler Felsen nach dem dunkelgrünen Walde, der wiederum von eingeklüfteten, romantischen Felsenmauern eingeschlossen wird, während drinnen im Thale das Wasser rauscht und braust."
Zum Schluß muß ich noch auf die Unklarheit hinweisen, die sich in den vorangeführten Schilderungen betreffs der Bestimmung der Oertlichkeit von Oberkarlstein kundgibt. Während Brantel und Nowicki dieselbe ausdrücklich auf das rechte Ufer des Kirnischtbaches verlegen, muß man sie nach den Angaben der beiden anderen auf dem linken Bachufer suchen. Der Gebirgsverein wird sich also auch in topographischer Beziehung verdient machen, wenn er die Erschließung von Oberkarlstein unternimmt.
1) Ich vermisse diesen besuchenswerthen Punkt unter den Touren, welche in
dem heuer erschienenen "Führerbuch des Gebirgsvereines für das Khaatal"
verzeichnet sind; dagegen findet er sich in dem vom "Nordböhmischen
Exkursionsklub" voriges Jahr herausgegebenen "Tourenverzeichnisse für
Schluckenau und Umgebung"
2) Auch diese Burgstätte ist nicht besonders bekannt, und soll deren
Erschließung in einem nächsten Aufsatze befürwortet werden. Anm. d. Red.
3) Damit dürfte wohl die heutige Teichmühle in Langengrund gemeint sein.
Dr.H.
4) Soll offenbar "Ausgetretensein" bedeuten. Dr.H.
5) Die Anlage dieser Veste ähnelt ganz der unserer vielen anderen
Felsenburgen, insbesondere jener der Burg "Ratsch" in der Daubaer Schweiz. Dr.H.
6) Ein von Nassendorf kommender und Khaa berührender linksseitiger Zufluß des Kirnschtbaches
7) Es ist dies jene Stelle, wo der Kirnschtbach aus dem Granitterain ins
Terrain des Quadersandsteins tritt. Dr.H.
8) Die Sage erzählt nämlich, daß Oberkarlstein ein gefürchtetes, furchtbares Raubschloß gewesen, und von den Sechsstädten der Lausitz, gleich den benachbarten Burgen Tollenstein, Schönbuch, Karlstein u.a. 1339 zerstört worden sei. Geschichtlich aber ist über Oberkarlstein
nichts bekannt. Dr.H.
(aus: Nordböhmische Touristenzeitung Nr.1/1886 vom 15.12.1885)
Anmerkung: Der vorliegende Artikel beschreibt die Überreste einer mittelalterlichen Burganlage, die auf den heutigen tschechischen Karten als "Kyjovsky hradek" eingetragen ist. Die Burg befindet sich westlich der Ortschaft Kyjov (Khaa) über dem südlichen, linken Ufer der Krinice (Kirnitzsch).
letzte Aktualisierung am 11.12.2011
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