Aus der Geschichte der Erstbegehungen
Weberschluchtkegel-Süd(Tal)Weg.
Erste Begehung am 16. Oktober 1938
von Helmut Großer. KV. Hunskirchler
Leichte Morgennebel stiegen noch, als wir unserem Problem zustrebten, Ralf, Erich, Helmut,
Kurt, Willi und ich. Würde es uns heute gelingen, würden wir es schaffen? So
beschäftigten uns immer die Gedanken. Schon am vorhergehenden Sonntag umlauerten wir die
Süd-(Tal)Wand des Weberschluchtkegels, aber des Himmels Schleusen waren derart
geöffnet, daß jeder Versuch aussichtslos war. Heute das Gegenteil, ein Sonnentag.
Bald waren wir an unserem Felsen angelangt. Höhnisch und trutzig schaute er auf sechs
Menschlein herab, die ihm an seiner schwersten Stelle im ehrlichen Kampfe bezwingen wollten.
Wir waren uns dessen bewußt, und frühstückten erst einmal richtig, um den
Anstrengungen besser gewachsen zu sein. Dann wurde alles geordnet: 4 Seile, 4 Seilschlingen,
10 Karabiner und eine 50 Meter lange Reepschnur in Gestalt von einer Wäscheleine. Noch
einmal überprüfte ich den Weg, der wie zum Himmel hinanstrebte, so lang erschien
er mir, zunächst führte eine Rißfolge zu einem großen Absatz, dann
ein Stück Wand mit einem Überhang. Über diesem führte eine Rinne zuletzt
als Handriß bis zu einem großen Band, links davon eine lange Rinne, die die
Originallinie zum Alten Weg bildet. Wenn auch das Schlußstück mit dem Alten Wege
gleich lief, so war der Weg ein gegebener, vollkommen unabhängig vom Alten Talwege,
bestimmt ein lohnender Weg. Ich seilte mich ein, befestigte die Reepschnur, die uns noch
gute Dienste leisten mußte. Berg Heil! Und ich setzte meinen Fuß an den Felsen.
Zunächst ein einfacher Riß bis zu einem großen Block. Das nächste
Ziel war ein großer Absatz. Jetzt begannen die Schwierigkeiten, ein Stück
Riß, eine große Spreize, und die Hände suchten etwas Brauchbares, dann
stand ich auf dem Absatz. Ich legte eine Knotenschlinge hinter einen Block und holte
Helmut nach. Nach kurzer Zeit stand er neben mir. Während er Erich nachholte, legte
ich noch zwei Seilschlingen, um für die folgende Baustelle genügend Sicherung zu
haben. Mittlerweile war auch Erich und Ralf bei uns angelangt. Nun kam die
Schlüsselstelle, wenn diese ging, dann ginge der ganze Weg, sagte ich, aber es sollte
noch viel schwerer kommen. Helmut wurde von Ralf und ich von Erich gesichert. Helmut stieg
bis zum Überhang und suchte sich dort einen einigermaßen guten Standplatz,
denn das kurze Wandstück war sehr brüchig und Vorsicht war geboten. Als Helmut
stand, stieg ich schnell hinterher, um ihn an dieser miesen Stelle nicht lange warten zu
lassen. Mit größter Behutsamkeit versuchte ich ihm auf die Schulter zu treten,
das war aber gar nicht so einfach, denn der Überhang drückte mich sehr heraus.
Endlich hatte ich mich ausbalanciert und stand auf seiner Schulter, aber kein Griff war zu
finden, an dem ich mich hätte etwas anhalten können. Ich sprach immer zu Helmut,
er solle ganz stille halten, denn die kleinste Bewegung hätte mich aus dem Gleichgewicht
gebracht. Endlich gelang es mir, die Füße auf seinen Schultern auszuwechseln,
trat mit dem linken Fuß an und schwindelte mich in die bemooste Rinne hinein, noch
einmal durchlaufen, dann erwischte ich ein kleines Loch, das mir wie ein großes Pfund
vorkam. Hier konnte ich erst einmal verschnaufen und schaute zurück. Wir waren
glücklich, daß die Stelle geklappt hatte, denn wir nahmen an, daß das
andere nun nicht mehr so schwer sein würde. Ralf sprang wie ein Rehlein umher und
sprach immer: "Wir haben es in der Tasche, jetzt haben wir es geschafft", aber Kurt und
Willi, die uns von einem Massiv aus beobachteten, riefen: "Die Rinne dort oben geht gar
nicht zu machen", wir glaubten es aber nicht. Mein nächstes Ziel war ein großes
Band, das die ganze Talseite durchzieht. Ich stieg die grüne Rinne weiter, bis sie
aufhörte und als Handriß weiterging, dieser endete auf dem Band. Der Riß
war nicht so schwer, aber eine Genußschweinerei. Das Band hatte ich bald erreicht, auf
einmal war alles griffig, lauter kleine Platten, die nur darauf warteten, von mir in die
Tiefe gerissen zu werden. Deshalb belastete ich sie ganz wenig und erreichte glücklich
das Band. Aber keine Sicherungsmöglichkeit war hier vorhanden und weitersteigen konnte
ich auch nicht, denn der Weiterweg sah furchtbar aus. So mußte ich wohl oder übel
zu dem Entschluß kommen, einen Sicherungsring zu schlagen, den jungfräulichen Fels
verwunden. Ich erwog, wo ich den Ring am besten schlagen konnte, alles sehr morsch, nur das
eigentliche Band war sehr fest, es bestand aus einer dicken Quarzschicht. Bald dröhnten
wuchtige Schläge durch das stille Tal. Der Quarz machte mir sehr viel zu schaffen, durch
die großen Körner war der Kronenbohrer fast immer verstopft. Fast 1 1/2 Stunden
brauchte ich dazu, bis der Ring hell klingend in den Felsen eindrang. Keiner war froher als
ich, daß der Ring saß, denn mir waren die Beine halb eingeschlafen. Mittlerweile
war es auch schon nachmittag geworden, und der Magen machte seine Rechte geltend. Kurt und
Willi holten die Freßpakete und banden sie an die Reepschnur, bald verschwand eine
Schnitte nach der anderen in unseren Mäulern. Ein pfundiges Frühstück hatte
ich hinter mir, wo das Herz seine Freude daran hatte. Konnte es denn überhaupt noch
etwas Schöneres geben, als hier auf jungfräulichem Bande zu rasten und zu schauen,
bei herrlichem Sonnenschein ? Die Blicke schweiften in die Ferne und ließen vergangene,
siegreiche Bergfahrten vorüberziehen. Aber zurück; noch hatten wir nicht gesiegt,
noch mußten wir auf ein hartes Ringen bereit sein, denn der Felsen läßt sich
nicht so leicht schlagen. Als zweiter folgte Helmut, die Baustelle mußte er hangeln, er
wollte es erst so versuchen, aber es ging beim besten Willen nicht. Dann folgte Erich, auch
er bestaunte den schweren Rinneneinstieg. Meine größte Sorge war nun der
Weiterweg. Zuerst ein Überhang und dann eine lange Rinne, die die ideale Linie zum
Alten Weg bildet; ja wenn wir 25 Meter weiter oben wären, hätten wir es geschafft.
Noch einmal alles durchdacht, dann schwang ich mich auf Helmuts Schultern, er mußte
auch hier wieder herhalten. Aber was ich jetzt sah, war trostlos, die Rinne war ganz glatt,
von weitem sah sie viel besser aus, dazu war ich noch viel zu tief, um in die Rinne
einsteigen zu können. Helmut mußte mit Hilfe eines sehr morschen Griffes
hochlaufen, um mich einen halben Meter höher zu bauen. Jetzt hatte ich für die
rechte Hand ein Loch, aber was für eins, am liebsten hätte ich die Hand wieder
herausgezogen, es war nur zum ausbrechen, ein sonderliches Gefühl. Ich nahm es auf
Zug und spreizte die Rinne aus. Das war technisch bestimmt schwer. Als die Rinne eine
Krümmung machte, wurde es sehr pfiffig, es wollte nicht mehr weitergehen. Mit den
Fingernägeln hielt ich mich an einem Quarzkörnchen, für die Beine hatte ich
auch nicht viel zum Treten. Erich und Helmut sahen es mir an, daß ich es nicht leicht
hatte. Willi und Ralf eilten den Hang hinauf, nach dem Alten Wege, um mir im Notfalle das
Seil zuzuwerfen. Ich überlegte nochmals alles, dachte an den Weg, den ich schon
zurückgelegt hatte, und jetzt wollte es nicht mehr gehen.Ich konnte kaum zu Erich
hinuntersehen, ich brauchte nur eine Bewegung zu machen und das Gleichgewicht wäre
verloren gewesen. Die Sicherung war sehr schlecht, ungefähr zwölf Meter unter
standen Helmut und Erich, die jede Bewegung von mir verfolgten. Wenn ich nur noch einmal
ein Stück zurück könnte, Erich erklärte mir alles genau, und beim
zweiten Versuche gelang es mir, in eine bessere Stellung zu kommen. Wie sollte ich bloß
über die Stelle kommen? In der Mitte der Rinne zog sich ein ganz feiner Riß herab,
den das Regenwasser als Weg benutzte, aber zum Benützen ging er nicht. Da brachte Erich
einen Gedanken auf, kannst du denn nicht noch eine Öse schlagen ? Auch mir kam es wie
eine Erleichterung vor, hatte ich doch dann wenigstens Sicherung. Vorsichtig, um nicht aus
dem Stande zu gleiten, zog ich den Sack herauf, setzte die Öse an, ein paar Schläge,
und sie drang in die Rißspur ein. Im Tal hallte das Echo und gab uns die seltsamen
Laute wieder zurück. Endlich brummte sie. Ich hing mich sofort mit einem Karabiner ein,
um mich auszuruhen. Im Tale sah ich die Bergler schon wieder nach Hause ziehen, sie hatten
es schon geschafft, hatten ihre Bergfahrt beendet. Auch die Sonne hatte ihre Schuldigkeit
getan, sie verschwand goldig hinter den Bergen. Noch halb in Träume versunken
rüstete ich mich für das Kommende. Jetzt mußte ich es schaffen, sonst
kommt mir die Nacht über den Hals. Nochmals gab ich Erich die nötigen Anweisungen
im Falle eines Mißlingens, dann versuchte ich es, gab das Beste her, kratzte mich mit
den Fingernägeln hinter das dürftige Quarzkörnchen, ein Durchziehen mit
letzter Kraft, schon rutschte ich etwas, aber nein, der Wille zum Siegen war
größer und stärker als der Felsen, nur jetzt weiter noch einen Meter, und
dann wurde es besser, die Rinne leichter. Bis zum Ring des Alten Weges stieg ich, um Helmut
nachzuholen. Die Baustelle hangelte er, und das Loch riß er beim ersten Hinlangen
gleich heraus, vielleicht dachte er, es wäre aus Eisen. Das schwere Stück nach
der Öse wollte bei ihm erst recht nicht gehen. "Wie hast du das bloß gemacht ?",
kam es aus seinem Munde, und so hangelte er das letzte Stück, bis er bei mir war. Aber
nun begann es auch schon zu dunkeln, deshalb stieg ich gleich weiter, das kurze Stück
Alten Weg bis zum Gipfel. Berg Heil! Ich hatte den Gipfel erklommen. Das war bestimmt die
glücklichste Stunde von meinen Bergfahrten, der Sieg über jungfräulichen
Fels. Ich konnte es kaum fassen, noch vor einer Stunde hatte ich an dem Gelingen gezweifelt
und jetzt war der Gipfel, das Ziel, erreicht, nach hartem Ringen an steiler Wand, aber noch
hingen meine Freunde, die mir zum Siege verholfen hatten, im grausigen Fels, in der
Finsternis, wo nur die Sterne ihr Licht spendeten. Auch ihre Nerven waren gereizt und
gespannt, denn bei der Finsternis die langen Strecken hangeln in ein Nichts, da muß
man sich schon in der Gewalt haben. Ich hangelte den Alten Weg hinunter zu den
Rucksäcken, eine Taschenlampe zu holen. Nun konnten wir wenigstens etwas sehen.
3/4 8 Uhr hatte der Letzte den Gipfel erreicht (6 Uhr wurde es schon finster).
Freudestrahlend reichten wir uns die Hände auf nächtlichem Gipfel. Leise trug
der Wind unsere Lieder weiter in die schlafende, stille Zschandlandschaft.
entnommen aus: "Der sächsische Bergsteiger" Mai 1939
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Dokument vom 12.4.97