Aus der Geschichte der Erstbegehungen


Aus Oscar Schusters Tagebüchern (Jahre 1895/96)

herausgegeben von Dr. Waldemar Pfeilschmidt, Verlag Bernhard Hartung, Dresden 1922


Morsche Zinne. (?) Erste Ersteigung.

Mittwoch, den 11.April 1895. - Früh 7.10 ab Dresden mit Friedrich Meurer nach Schandau. Überschreitung des Falkensteins. Ohne zu rasten über den Königsplatz zum Ostfuß des Blaustocks. Dort Mittagsrast. Der Blaustock wird durch zwei eingeklemmte Blöcke mit dem Massiv der Affensteine verbunden. Gerade gegenüber dem Blaustock befindet sich eine kleine Terrasse, die wir durch einen sehr schwierigen Kamin glücklich erreichten. Hier überzeugten wir uns, daß auch die Südwand dieses kühnen Felszahnes unersteiglich sei. Die Terrasse wurde überschritten und dann auf einem Band an der Westseite der Affensteine hingegangen. Ein Felsloch führte uns dann auf die Ostseite. Über unangenehmes Terrain auf Bändern hinquerend zum Eingang einer Schlucht, die ins Massiv einschneidet. Im unteren Teil ist dieselbe ganz leicht, im oberen Teile macht sie schwierige Klettereien nötig. So erreichten wir eine Scharte nördlich vom höchsten Gipfel der Affensteine. Zunächst beschlossen wir, den zweithöchsten Gipfel nördlich der Scharte anzupacken. Derselbe wird über einen Kamin erreicht, der große Ähnlichkeit mit der Stelle am Turnerweg des Falkensteins hat, oberhalb deren sich das Felsloch mit dem Abseilring befindet. Auf dem Gipfel (erste Ersteigung) blieben wir, da das Wetter sehr schön war, eine Weile und stiegen darauf zum Gipfel des höchsten Affensteins. Um diesen zu erreichen, mußte vorerst in die Scharte abgestiegen werden. Von dort ging es, zum Teil einen Riß benutzend, zum Gipfel hinan, der mit Bäumen bestanden ist. Auf beiden Affensteinen ließen wir zum Zeichen unserer Anwesenheit Bindfaden; Karten besaßen wir leider nicht. Dann stiegen wir - ein Versuch, auf anderem Wege abzusteigen, wurde aufgegeben - wieder zur Scharte hinab und auf der Anstiegsroute bis zu dem erwähnten Felsloch, das den Überstieg auf die Westseite vermittelt. Dieses wurde jedoch nicht benutzt, sondern durch einen ganz leichten Kamin auf der Ostseite abgestiegen. Dieser Kamin und das Felsloch nebst einem anderen, das gleichfalls zur Terrasse führt, würde den bequemsten Weg zur Erreichung der Terrasse darstellen, der sehr schwierige direkte Anstiegskamin aber kaum mehr benutzt werden. - Durch die Hölle und über die Ostrauer Scheibe nach Schandau und Dresden. Hübsche, aber anstrengende Partie; die Bezwingung des Blaustocks ohne künstliche Hilfsmittel erscheint unmöglich. -

Rauschenstein.

Fluchtwand.

Sonntag, den 27. Oktober 1895. Früh 7.07 ab Dresden mit Friedr. Meurer, Dümler, Kretschmar, Gärtner, Rüger u.a. Nach Schöna, von da nach Schmilka und zum Rauschenstein. Während ich diesen mit Rüger, Kretschmar und Faul auf neuem Wege durch die Südwand, welcher bedeutend weiter nach Osten zu liegt als der alte, besteige 1), gehen die andern Partien auf dem üblichen Wege von Westen zum Gipfel, woselbst wir wieder zusammentreffen. Kretschmar, Dümler und Rüger nehmen den Abstieg auf unserer Anstiegsroute, während ich mit den andern Partien auf dem üblichen Wege absteige. Dann unternehmen Rüger und ich noch eine weitere Exkursion in der Südwand, indem wir dieselbe etwa bis zur Hälfte queren und dann nach genauer Prüfung einer großen Schlucht mit weitem Überhang durch dieselbe hinabsteigen. 2) Nun zur Fluchtwand im Heringsgrund. Endloses Aufseilen des Gepäcks und der Menschen. Weiter zum Gipfel, der durch einen gewissen Herrn Gerbing (?) aus Tetschen, welchen wir auf der Spitze treffen, total verschandelt worden ist. Eingeklemmte Sprossen, in den Fels geschlagene Griffe u.s.w. erleichtern ganz erheblich die Besteigung. Oben eine Blechhülse und Karten. - Rückmarsch über den Winterberg und die Huschen nach Herrnskretschen, von da nach Dresden. -

Mönchstein. Westweg.

Erste Begehung.

Sonntag, 12. April 1896. Mit Paul Becker und P.Müller früh 7.07 ab Dresden. Nach Rathen. Ersteigung der Vorderen Gans durch den Gühnekamin, dann Hintere Gans von der der Vorderen Gans zugewendeten Seite, hinab auf dem Alten Wege. Mittag im Königspavillon; dann über die Bastei zum Fuße des Mönchsteins, diesen jedoch nicht auf dem üblichen Wege erstiegen, sondern abgeseilt in die Scharte, die ihn von der Bastei trennt. Der weitere Anstieg zum Teil sehr schwierig. Abstieg auf dem Alten Wege. Erste Überschreitung. Wetter durchweg schön und warm.

Falkenstein. Nordkamin, erste Begehung.

Domwächter.

Sonntag, den 18. Oktober 1896. Früh 7.07 in großer Gesellschaft mit dem Zug nach Schandau. Mit Friedrich und Conrad Meurer zum Falkenstein, wo zunächst am Einstieg zum "Meurer-Weg" eine Frühstücksrast gehalten. Dann von dieser Stelle aus über ein Band nach rechts zum Fuße eines Kamins, durch den schwierig auf einen Absatz. Etwas nach rechts zu einer kräftigen Kiefer und nunmehr direkt durch den langen Kamin, welcher die große Platte unterhalb des Reitgrats am Schusterweg orographisch links begrenzt. Zum Teil sehr schwierig und durchwegs sehr anstrengend in die Höhe. Einmal lasse ich mich von Meurer jun. durch die Schultern unterstützen. Ich klettere durchwegs voran, dann kommt Fritz, zuletzt Conrad Meurer, der heute infolge Rheumatismus eine sehr passive Rolle zu spielen gezwungen ist, und der einigemal durchs Seil energisch unterstützt wird. Oberhalb des Reitgrats mündet der Weg in die Schustersche Route ein. Von dort ab klettere ich ohne Seil. Auf dem Gipfel kalter Wind. Abstieg über den Schusterweg, ich gehe ohne Seil, Conrad ist am Seil des Bruders. - Vom Falkenstein zum Großen Dom. Fritz Meurer und ich ersteigen den Turm, welcher sich zwischen Großem und Kleinem Dom erhebt. Er erhält den Namen Saß Maor.3) Die Besteigung ist schwierig 4) Von der kleinen Plattform unterhalb des Gipfels, wo wir ein mit Steinen beschwertes Papier fanden, auf Meurers Schultern zum Gipfel. Es war vermutlich die zweite Ersteigung. Den Abstieg nahmen wir bis zu dem den ganzen Berg spaltenden Risse auf dem alten Wege, dann an der nördlichen Kaminöffnung zum Boden, was leichter als der Anstieg. - Zurück über Königsplatz zur Ostrauer Scheibe. - Sehr interessante Tour, hübsch die neue Falkenstein-Route. -

Hoher Torstein.

Vom mittleren Schrammtor zur Fingerscharte.

Donnerstag, den 22. Oktober 1896. Ab Dresden-A. früh 7.10 mit Siegfried Meurer und Becker nach Schandau. Leider wegen schlechten Wetters den neuen Weg auf den Falkenstein, den ich allein vorhatte, nicht machen können. Ich kletterte aber ein Stück hinauf und rekognoszierte. Dann führte ich allein einen neuen Weg auf das Schrammsteinplateau aus, der sehr schwierig. 5) Der Anstieg führt von Süden, also vom mittleren Schrammtor zur Ostseite des Torsteinmassivs. Der Einstieg liegt in roten Felsen, die überhängen, anfangs ein sehr schwerer Kamin. Da aufs Schrammsteinplateau gekommen, wo der Weg zur Schwedenhöhle abzweigt. Abstieg über Sandreiße. -

1) Es handelt sich hier wohl um die Variante zum Südweg (Fehrmann, Bergsteiger, I, S.226).

2) Die Anstiegsschlucht des "Trautmannweges" (Fehrmann, Bergsteiger, II, S.61).

3) Ursprünglicher Name für den Domwächter.

4) Folgt Wegbeschreibung.

5) vgl. Fehrmann, Bergsteiger, I, S.176.



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Dokument vom 16.11.97